Suneung

Der 수능 Suneung, mit anderen Worten auch College Scholastic Ability Test oder kurz einfach CSAT ist ein standardisierter Test, der von den landesweiten Universitäten als ein Ersatz für Aufnahmeprüfungen angesehen wird. Er ist ein wichtiger Teil vom südkoreanischen Schulsystem, da er im Prinzip so etwas wie unser Abi bzw. die österreichische Matura darstellt – nur mit einer viel höheren Relevanz für den anschließenden beruflichen Werdegang.

Jiyoung, Kyunghee und Sunghee sind drei Freundinnen, die sich während der High School kennengelernt haben. Sie haben eifrig bei diesem Artikel hier mitgewirkt und viele Dinge erzählt, die uns einen ganz besonderen Einblick auf das koreanische Schulleben geben werden.

Alle drei sind sie mittlerweile 19 Jahre alt und besuchen zwei verschiedene Universitäten, doch die Zeit zwischen der High School bis hier her war ein Weg, der geprägt von Stress, Liebeskummer und dem Verlust einer Freundin wurde…

„Wir haben uns kennengelernt, da waren wir alle auf der Sehwa Mädchen High School.“, erzählt Kyunghee zu Beginn gleich ganz aufgeregt und schnell ist klar, dass sie der Fels in der Brandung dieser drei Freundinnen ist. Sie sprüht förmlich von guter Laune und kann es kaum erwarten, ihre Geschichte loszuwerden. Die vielen Smileys, die sie dabei macht, erzählen nämlich ihre ganz eigene Story. Doch schon bald muss ich mich darüber wundern, dass sie es trotz allem schafft, eine so gute Laune zu haben. Dazu schon bald mehr. „Wir mochten uns nicht immer, erst durch Seulgi haben wir wirklich auch alle zueinander gefunden und angefangen, uns in der Cafeteria an einen gemeinsamen Tisch zu setzen.“

So viel dazu, wie sich die Mädels kennengelernt haben. Wir quatschten anfangs etwas darüber, wie die Schulzeit allgemein für sie war und während sie mir davon erzählten, wurde ich immer wieder gefragt, worin sich unsere Schulen denn meiner Meinung nach am meisten unterscheiden. Ganz gespannt haben sie mir zugehört und das Interesse war mindestens so groß, wie von meiner Seite.

Aber zurück zum Suneung, denn um den soll es schließlich in diesem Artikel hier auch gehen.

의 사진 KOREA.net

Der Test stellt im Prinzip den großen Alptraum eines jeden Koreaners dar. „Meine Mutter hat immer gesagt, der Suneung wird der Test sein, der mir die Chance gibt, meine Zukunft zu gestalten.“, erzählt Jiyoung und Kyunghee wirft daraufhin ein: „Wirklich? Meine hat immer gesagt, dass es meine Zukunft genauso auch zerstören wird, wie es sie gestalten könnte, wenn ich nicht fleißig genug lerne.“ Beinahe will man dies schon mit Abschlussprüfungen, wie etwa dem Lehrabschluss, der Matura bzw. dem Abitur vergleichen, doch das ist extrem weit gefehlt.

의 사진 KOREA.net

„Man geht sogar mit Fieber hin.“, erzählt Sunghee in einem durch, „Das ist so wichtig, wenn man eine gute Zukunft will, dass man in seiner Not nach Koffeintabletten greift, um wach zu bleiben und weiterlernen zu können. Eine unserer Klassenkolleginnen ist von einem Polizisten zur Prüfung eskortiert worden.“ Sunghee hat es mittlerweile geschafft – sie hat durch ihre Abschlussprüfung die Möglichkeit bekommen, im Ausland zu studieren und hat mehrere Jahre lang eine Universität in London besucht. „Es ist kalt dort.“, erzählt sie mit einem lächelnden Smiley. „Und ich habe es mir viel schwieriger vorgestellt. Nach dem CSAT hatte ich Angst, weil ich dachte, dass es jetzt mit jedem weiteren Tag schlimmer wird, aber am Ende ist das lernen so viel einfacher geworden.“ Daraufhin folgt von mir die Frage, ob sie denn denke, dass es möglicherweise daran liegt, dass sie so viel lernen musste für diesen Test und sich daher nun leichter tut. Bloß ein lachender Smiley folgt zunächst. Bis sie schließlich meint: „Auf keinen Fall. Es ist nur viel einfacher in London. Wo hier meine Mitstudenten zu jammern beginnen, weil sie so viel zu lernen haben, kann ich nur leicht grinsen. Keiner von denen sollte in Seoul zur Schule gehen, das muss die Hölle für sie sein.“

Wegen der Sache mit der Polizeieskorte habe ich näher nachgeforscht, denn irgendwas hatte ich dazu im Hinterkopf. Am Ende bin ich tatsächlich fündig geworden – Polizisten eskortieren Schüler, die zu spät zur Prüfung zu kommend drohen.

Und nicht nur das – es gibt noch viel mehr solcher irren Einzelheiten, über die unsereins beinahe schon den Kopf schüttelt.

Jedes Jahr fällt diese Prüfung auf den zweiten Donnerstag im November, an dem die koreanischen High School Schüler rund 1000 Seiten hinter sich bringen müssen! Und selbst wenn es sich hier um einen Test mit der Auswahl zwischen mehr Antwortmöglichkeiten handelt, ist das eine extreme Anzahl.

Bereits 100 Tage vor dem Suneung beginnen diverse Firmen und auch Privatleute, Botschaften an all die Schüler auszuhängen, die dieses Jahr zu jenen Tests antreten werden. Bis dahin sind die Tage geprägt von stundenlangem Lernen, bei dem die Schüler – wie uns die Mädchen zuvor schon so lebhaft erzählt haben – unter einem so hohen Leistungsdruck stehen, dass sie zum Teil sogar zu besorgniserregenden Hilfsmitteln greifen.

In dieser Zeit erhalten die gestressten Schüler nicht selten von ihren Freunden und der Familie ein paar Geschenke, die sie bei der Stange halten sollen. Am beliebtesten sind hier klebrige Reiskuchen (찹쌀떡 chapssaltteok) und koreanischer Karamell (엿 yeot) weil Koreaner daran glauben, dass klebriges Essen den Schülern dabei helfen, dadurch weiter motiviert an ihren Unterlagen haften zu bleiben.

의 사진 KOREA.net

Ansonsten wird auch viel Schokolade verschenkt, weil schließlich dem Zucker nachgesagt wird, dass er die Gehirnwindungen in Gang bringt. Weitere beliebte Geschenke sind Toilettenpapier und Snacks, welche die Form einer Axt oder einer Gabel haben. Das rührt daher, dass die koreanischen Worte dafür dem Begriff dafür, die Antworten richtig zu erraten, sehr ähneln.

도끼로 찍다 = eine Axt verwenden => 찍다 = Homonym von erraten
휴지를 풀다 = WC-Papier verwenden => 풀다 = Homonym von lösen

Mitschüler und Eltern erschaffen regelrechte Menschenketten, die den Schülern einen Weg bahnen, auf dem sie Jubelrufe und nette Worte, sowie Glückwünsche für die Prüfung erhalten. Die Juniors, also die jüngeren Mitschüler, welche in diesem Jahr noch keinen solchen Suneung ablegen müssen, versammeln sich vor den Schulen und erweisen den Seniors ihre Ehre. Eltern und Verwandte, die nicht berufstätig sind oder sich dafür eigens frei genommen haben, treten entweder vor die Schultore, um dort für ihre Kinder zu beten. Die buddhistischen Koreaner steigen auf den Mount Palgong, um am Gatbawi, einer buddhistischen Statue zu beten.

Berufstätige haben an diesem Tag die offizielle Erlaubnis von ihren Firmen, extra zu spät zur Arbeit zu kommen, um den Verkehr nicht zu behindern; damit auch bloß kein Stau auf den Straßen entsteht.

Obendrein wird selbst der Flugverkehr an diesem Tag angehalten, damit möglicher Lärm durch die Flugzeuge die Schüler nicht in ihrer Konzentration behindert.

Weitere mit diesem Tag verbundene Aberglauben sind etwa jener, dass man auf keinen Fall seinen Stift während dem Test fallen lassen darf, da dies direkt mit dem Versagen einhergeht. „Man darf seinen Stift dann gar nicht mehr weiter verwenden.“, erzählt Sunghee, „Derjenige, der die Aufsicht über uns hat, kommt und gibt einem dann einen neuen.“

Aber das sind längst nicht die einzigen Aberglauben, welchen die Koreaner hier wegen dem Suneung nachhängen. Jiyoung erzählt hierzu nämlich: „Wer in die Seoul oder Yeonsei Universität möchte, muss vor der Prüfung eine solche Milch trinken.“ Es gibt tatsächlich Firmen, die ihre Produkte nach Universitäten benannt haben. Ein weiterer, weit verbreiteter Aberglaube hat mit dem Film James Bond 007 Skyfall zu tun. SKY ist ein Akronym für die Universitäten, die in am höchsten angesehen sind – dazu zählen auch die von Jiyoung erwähnten Seoul und Yeonsei Universitäten. Wer diesen Film sagt, soll es nicht in diese Unis schaffen.

Kyunghee, die zuvor noch äußerst gut gelaunt war, erzählt dann plötzlich etwas, das mich zum Nachdenken bringt: „Es gibt immer jemanden, der zum Suneung zu spät kommt und das, obwohl das ganze Land schon so viele Ausnahmen an dem Tag zieht, dass jeder rechtzeitig kommen kann, wenn er nur wirklich will.“ Umstände, wie die Entfernung zur High School spielen hier für die Schüler nämlich absolut keine Rolle, wenn es darum kommt, pünktlich zur Prüfung zu erscheinen. „Seulgi, durch die wir uns alle kennengelernt haben, ist an dem Tag trotzdem zu spät gekommen.“ Und plötzlich schwingt die Stimmung zwischen den Mädels um, als Kyunghee davon beginnt. Jiyoung und Sunghee fühlen sich merklich gar nicht wohl damit, dass die Freundin damit anfängt. „Die Schultore werden um 8:10 Uhr geschlossen. Der Test beginnt um 8:40 Uhr. Wer zu spät kommt, hat hier absolut keine Möglichkeit mehr, in die Schule zu kommen.“ Erstaunt frage ich nach, was ihre Freundin Seulgi dann gemacht hat und ob es denn keine Möglichkeit gäbe, diesen Test zu wiederholen. „Klar gibt es die.“, verrät mir Jiyoung daraufhin, „Es gibt sogar jedes Jahr ein paar Leute, die den Suneung wiederholen, aber man schämt sich unglaublich dafür, weil man ja vorher versagt hat.“ Und Kyunghee ergänzt zu ihren vorigen Worten noch: „Seulgi hätte ein ganzes Jahr warten müssen, bis sie noch einmal zum Test antreten durfte.“ Vergleichbar also mit unserem Sitzenbleiben, denke ich mir. Und bevor ich erst nachfragen, kann erzählt sie schon: „Sie hat sich so geschämt dafür, dass sie sich umgebracht hat…“

Schlagartig wird es still um uns herum. Das Gespräch mit den drei Mädchen nimmt eine Wendung, die ich zu Beginn nicht erwartet habe. Aus Respekt möchte ich die näheren Umstände davon hier nicht erläutern und wünsche

Der Druck, der auf den Koreanern lastet, ist enorm. Nicht selten geschieht es während der 100 Tage zum Suneung hin, dass manche von ihnen einfach überfordert sind und unter Depressionen leiden. Es liegen sogar Zahlen vor, die besagen, dass die Selbstmordrate kurz vor und nach dem Suneung enorm steigt. Besonders jene, die kein positives Ergebnis erzielen, wählen angeblich oft den Freitod, da ihnen dies noch immer als besser erscheint, als wenn sie sich der Familie gegenüber eingestehen müssen, dass sie durchgefallen sind.

„Zu Versagen ist das schlimmste, was einem hier in Korea passieren kann. Das fängt schon an, wenn man sich in jemanden verliebt.“, erzählt mir Sunghee, damit ich die Umstände besser verstehen kann, „Niemand mag Ablehnung, aber wenn man damit dann die ganze Familie mit reinzieht, wird es unerträglich.“ Im weiteren Verlauf, als wir darüber sprechen, wird mir zunehmend bewusst, das Jinyoung und Kyunghee ein völlig anderes Verhältnis zu jenen Geschehnissen haben. „Ich glaube, das liegt daran, dass ich jetzt im Ausland studiere.“, sagt sie mir nämlich, „Meine Freundinnen verstehen nicht, wie es dort aussieht, wo nicht die koreanischen Standards gelten. Es ist alleine schon erschreckend, wie die Leute hier miteinander alle umgehen. Anfangs hatte ich Angst, ich könnte mich nicht einfügen, weil mir der gegenseitige Respekt so sehr fehlt, den sie sich hier schenken. Aber mittlerweile ist mein größeres Problem, dass ich mir denke, Seulgi wäre vielleicht noch am Leben, wenn sie wo anders, als in Korea aufgewachsen wäre.“

의 사진 KOREA.net

Hinzu kommt, dass die Universitäten nicht nach Punktezahlen, sondern nach dem erreichten Quantil gehen. Nun leben die Koreaner in einem Land, in dem jeder Schüler daran glaubt, dass Ergebnisse einfach alles sind, was zählt, weshalb es hier nahezu immer jemanden gibt, der besser sein wird. Sie überfüllen die Warteschlangen zu den besten Universitäten und nehmen denjenigen, die unter ihren Ergebnissen liegen, die Chance, ebenfalls einen Platz dort zu ergattern. Im Prinzip geht es also nicht nur darum, eine gute Note mit nach Hause zu nehmen, sondern wortwörtlich besser als jeder andere zu sein.

Doch direkt nach dem Suneung ist das noch nicht das erste, worüber die Schüler nachdenken.

Zuerst wird direkt nach dem Test gesungen und gefeiert und als Tradition, die sich mittlerweile eingebürgert hat, werden tags darauf die bis dorthin verwendeten Hefte und Bücher auf den Schulhof geworfen und darauf herumgetrampelt. Bis ein von der Schule organisierter Abholdienst kommt und die Bücher entsorgt.

Legitimer Vandalismus nennt man das mittlerweile in den Kreisen der Schüler – denn es wird von den Schulen akzeptiert und soll den Schülern als Stressbefreiung dienen, die sie sich ja tatsächlich nach so einer schwierigen Zeit gönnen dürfen.

Im Übrigen besteht der Suneung aus folgenden Bereichen:

  • Nationalsprache
    45 Fragen, 100 Punkte erreichbar, 80 Minuten Zeit (08:40 bis 10:00)
  • Mathematik
    30 Fragen inkl. 9 subjektiver Fragen, 100 Punkte erreichbar, 100 Minuten Zeit (10:30 bis 12:10)
    » Typ „Ga“: Differential- und Integralrechnung 2, Geometrie und Vektor, Wahrscheinlichkeit und Statistik
    » Typ „Na“: Mathematik 2, Differential- und Integralrechnung 1, Wahrscheinlichkeit und Statistik
  • Englisch
    45 Fragen inkl. 17 verbal gestellte Fragen, 100 Punkte erreichbar, 70 Minuten Zeit (13:10 bis 14:20)
  • Koreanische Geschichte, Soziale Studien, Wissenschaften und berufliche Ausbildung
    je 20 Fragen, je 50 Punkte erreichbar, insgesamt 102 Minuten Zeit (14:50 bis 16:32)
    » Soziale Studien setzt sich zusammen aus zwei Fachgebieten: Leben und Ethik, Weltgeschichte und Ostasiatische Geschichte, Koreanische Geografie und Weltgeografie, Recht und Politik, Wirtschaft, Sozialität und Kultur
    » Wissenschaften setzt sich zusammen aus zwei Fachgebieten: Physik, Chemie, Biologie, Erdwissenschaften
    » berufliche Ausbildung setzt sich zusammen aus zwei Fachgebieten: Landwirtschaft, Industrie, Technisches Zeichnen, gewerbliche Wirtschaft, Rechnungswesen, Ozeanographie, Fischerei und Schifffahrtsindustrie, menschliche Entwicklung sowie Industrie
  • Fremdsprachen sowie Schriftsprache
    30 Fragen, 50 Punkte erreichbar, 40 Minuten Zeit (17:00 bis 17:40)
    »  Arabische Buchstabendarstellungen, Chinesisch inkl. chinesischem Alphabet
    zum Teil sogar Französisch, Deutsch, Japanisch, Russisch, Spanisch und Vietnamesisch