Genau wie das Christentum ist auch der Buddhismus oft auf einen moralischen Grundsatz reduziert worden. Die buddhistische Moralvorstellung besteht darin, jedes unangemessene Verhalten zu vermeiden, sei es körperlich, verbal oder geistig – und diese Moralvorstellung ist übrigens nicht an die Ansichten der heutigen Gesellschaft gebunden, sondern an Menschlichkeit. Gut ist in diesem Zusammenhang das, was gut ist für das Individuum und für die Gemeinschaft, während böse ist, was Leid hervorruft. Diese Auffassung scheint eben weit entfernt zu sein von der westlichen Konzeption, in der das Gute und das Böse ontologischer Natur sind. Theoretisch ist die Moral nur der erste Schritt auf dem Weg hin zum letzten Ziel, der Erleuchtung oder dem Nirwana. In der Praxis wird sie hingegen oft mit dem Ziel benutzt, eine bessere Wiedergeburt zu erlangen.
Ein Fallbeispiel: Man hat eine Gruppe von 3 bis 5 Personen, eine Person begrüßt eine andere nicht, obwohl sie von ihr gegrüßt wurde. Person A geht zu Person B, die wiederum Person C einfach darauf anspricht. Die Absicht der Tat ist es, Person A zu helfen, darum ist es eine grundlegend gute Handlung, auch wenn sich das in der heutigen Gesellschaft nicht gehört, einfach jemanden direkt darauf anzusprechen – deshalb wird sie auch gutes Karma hinter sich ziehen.
Die Moralvorstellung des Buddhismus wird im Prinzip von der goldenen Regel des Mitleids bestimmt. Wie wir gesehen haben, erstreckt sich dieses Mitleid nicht nur auf Menschen, sondern auf alle Lebewesen. Diese Theorie kann zu einem gewissen ethischen Relativismus verleiten. Von einem konventionellen Standpunkt aus sind Gut und Böse real und man muss das eine tun und das andere vermeiden. Wer Gutes tut, wird vielleicht im Paradies wiedergeboren werden, der Böses tut, wird im nächsten Leben ein schlimmes Schicksal durchleiden müssen. Im Sinne der letzten Wahrheit jedoch kommen Gut und Böse sich gleich, denn beide bringen ein Karma hervor und nähren den Kreislauf des Samsara. In dieser Hinsicht sind sowohl das Gute als auch das Böse „nur“ eine Illusion.
Aber für denjenigen, der eine Tat in seiner Unwissenheit als verwerflich ansieht, für den wird diese Handlung dann wirklich zu etwas Verwerflichem und von da an kann er deren Vergeltung nicht mehr verhindern. Man hat es hier mit einem sonderbaren Kreislauf zu tun – die schlechte Tat ist immer eine Folge der Unwissenheit und so gibt es im Grunde keine schlechten, sondern nur missglückte Taten. Dem Erlangen der Weisheit aber muss eine Reihe gelungener Handlungen vorausgehen. In dem Maße, in dem der Begriff des Karma wesentlich bleibt, bleibt auch die Ethik oder die Moral ein wesentlicher Bestandteil im Leben der Buddhisten.
Die Meditation (auch Samadhi oder Dhyana genannt), die als geistige Ruhe definiert wird, ist die zweite der drei Gruppen. Sie ist ohne Zweifel die bekannteste buddhistische Praktik und hat sich vor allem auch durch die weite Verbreitung des sehr populären Bildes eingeprägt, das Buddha unter dem Baum der Erleuchtung sitzend zeigt. Die buddhistischen Anleitungen zur Meditation betonen im Allgemeinen, wie wichtig Einsamkeit und die richtige Haltung sind. Letztere wird als Lotussitz bezeichnet: Die Beine werden überkreuzt, die Augen sind halb oder ganz geschlossen. Dieser Haltung werden gewisse physiologische Vorzüge zugeschrieben; so soll sie zum Beispiel die Energie des Körpers bewahren. Um Kontrolle über die psychosomatischen Funktionen zu erlangen, muss man die Sinnestore schließen. Um Kontrolle über den Geist zu erlangen, muss man zuerst den Körper beherrschen, vor allem die Atmung.
Es geht darum, sich zu entwöhnen, den alten, negativen geistigen Gewohnheiten ein Ende zu bereiten, indem man ihre Wurzeln erforscht und neue, positive Gewohnheiten an ihre Stelle setzt. Nach und nach gelingt es einem so, jede Bewegung der Gedanken zum Stillstand zu bringen. Der Zustand des Nicht-Denkens zu erreichen.
Die letzte der drei Gruppen der Lehre, die Weisheit, soll den Gläubigen zur Erleuchtung und über diese Vorstufte letztendlich zum Nirwana führen. Ihr geht das intuitive Verständnis der vier edlen Weisheiten voraus und die Erkenntnis, dass die Welt sowie menschliche Individualität nur Illusionen sind. Man erkennt, dass weltliches und menschliches Sein einem ständigen Werden und Vergehensprozess unterworfen ist. In diesem Sinne gibt es keinen festen Wesenskern, kein Ich.
Man unterscheidet vier Arten von Weisheit, wobei die ersten drei sich aus der Lehre, der persönlichen Reflexion und der Meditation ergeben – die vierte besteht in der unmittelbaren Weisheit. Sicher ist die Weisheit, die von der buddhistischen Lehre vermittelt wird, unabdingbar, aber sie reicht nicht aus und muss durch die persönliche Reflexion und die Meditation erweitert werden. Nur wenn der Geist vollkommen ruhig ist (wie ein klares Wasser, ohne die kleinste Welle oder den geringsten Windhauch), gelangt man zur höheren Weisheit.